Wie schon damals beim IE8 kann ich auch diesmal die allgegenwärtig Jubelarien nicht ganz nachvollziehen. Ja, auch dieses Mal haben die Microsoftler ihren Browser verbessert. Das ist nun nicht nicht weiter überraschend – es dürfte wohl niemand erwartet haben, dass der Browser schlechter werden würde. Was aber nicht vergessen werden darf: Die Causa Internet Explorer ist allein an seiner niedrigsten noch verbreiteten Versionsnummer zu messen. Das ist nicht besonders fair Microsoft gegenüber, doch was nützt dem HTML-Admiral das hochgerüstete Flaggschiff, wenn der Großteil der Flotte aus veralteten Wracks (= dem IE8) besteht?

Man darf nicht vergessen: Von allen heutzutage gängigen Browsern ist der IE8 in Sachen HTML5 (woran man ja beim IE9 besonders intensiv gearbeitet hat) mit Abstand der hoffnungsloseste Fall, nicht mal ein simples <section> funktioniert da ohne Hacks und Verrenkungen. Bis der IE8 umfassend abgelöst ist, markiert er allein die technologische Obergrenze des realistischerweise für alle nicht-nerdigen Zielgruppen machbare. Und so lange das der Fall ist, halte ich mich mit Begeisterungsstürmen noch zurück. Dass der neue Internet Explorer nur unter Vista oder Windows 7 läuft, dürfte die Ganze Sache nicht wirklich beschleunigen.

Und ein paar Fragezeichen wirft der IE9 selbst bei nicht-pessimistischer Beobachtung auf. Dass Microsoft im Mediacodec-Streit auf etwas anderes als den unfreien H.264-Codec setzen würde, war nicht wirklich zu erwarten. Damit dürften eigentlich die freien Codecs Theora und Vorbis aus dem Rennen sein … mit Safari, Chrome und dem IE9 steht die gesammelte Marktmacht von Google, Microsoft und Apple hinter H.264 und damit gegen Mozilla und Opera. Letztere könnten in ihren Closed-Source-Browser zumindest prinzipiell den unfreien Codec implementieren, aber was passiert mit dem Firefox? Der freie Browser kann schlecht einen unfreien Codec einsetzen, was ein recht unangenehmes Dilemma für Mozilla darstellt oder, wenn man das so sehen möchte, ein kluger Schachzug von MS gegen die ungeliebte Open-Source-Konkurrenz ist. Das kann man finden wie man will.

Ebenfalls recht logisch erscheint mir, dass der IE9 kein Canvas-Element (mein Artikel darüber) implementiert. Bei Microsoft wartet man ja immer noch darauf, dass der große Durchbruch von Silverlight recht bald kommen möge und man kann sich ja schlecht mit Canvas den Ast absägen, auf dem man dereinst mit Silverlight zu sitzen hofft. Bei SVG ist die Sachlage insofern anders, als dass beim hauseigenen Konkurrenzprodukt VML das Ende der Fahnenstange schon länger erreicht war.

Der IE9 ist also, wie schon der IE8 ein um Klassen besserer Browser als seine Vorgänger. Bis das aber wirklich irgendwem weiterhilft, geht gegebenenfalls noch eine ganze Menge Zeit ins Land, mit dem Release der neuen Version ist noch nichts erreicht. Und man sieht mal wieder sehr schön, dass Microsoft noch immer Microsoft ist und seinen Browsern wie schon immer schön als Mittel der Politik einzusetzen weiß – our commitment to the standards process geht halt nur so weit, wie es in die Firmenpolitik passt. Ich möchte mit dem Kommentar schließen, den @Fontblog angesichts der fehlenden Unterstützung für das Schriftformat .woff im IE9 gefunden hat:

IE9 NEIN!