Wenn der unbedarfte Normalbürger an Linux denkt, erscheinen vor seinem geistigen Auge bärtige Mathematiker zu 300 Pfund Körpergewicht, die kryptischen Programmcode in eine Textzeile hacken. Der bloße Gedanke an die Konsole schreckt viele schon ab. Das muss nicht sein: Erstens kann man bei modernen Distributionen fast ganz ohne Texteingabe auskommen, zweitens ist so eine primitive Eingabemethode unter Umständen eine ausgesprochen feine Sache. Dieser Artikel soll dem interessierten GUI-Fan die Angst vor der Konsole nehmen und im Idealfall auch verdeutlichen, warum dieses Teil wirklich ein Feature und kein Relikt ist.
Die gesamte Artikelserie:
- Was Linux ist und warum man sich dafür interessieren sollte
- Unverbindliches Ausprobieren
- Programme, Programme, Programme
- Photoshop und andere Windows-Anwendungen unter Linux
- Pimp my Linux
- Die Konsole ist den Freund
Früher war nicht alles schlimmer!
Die meisten Leser dürften alt genug sein, um in grauer Vorzeit noch eigenhändig ein MS-DOS oder gar etwas noch älteres bedient zu haben. Da war also das gesamte Betriebssystem durch eine Texteingabe zu bedienen. War früher wirklich alles so schlimm? Natürlich nicht. Es war vor allen Dingen anders – weniger was die Funktion des Ganzen angeht (Dateien kopieren ist Dateien kopieren), sondern was die Voraussetzungen seitens des Anwenders betrifft.
Die Konsole setzt voraus, dass man weiß was man tut. Wenn man keine Ahnung hat wie etwas geht oder wo eine bestimmte Datei liegt, fährt man mit einem GUI meist besser. Aber andernfalls ist Konsole ein Segen, denn damit arbeitet es sich schneller und bequemer. Glaubt keiner? Deswegen werden wir in Folge einfach mal ein paar Szenarien durchspielen, in denen man die vorliegenden Aufgaben sowohl per Konsole als auch per GUI erledigen könnte.
Szenario: Programm installieren
Eine ganz alltägliche Situation: Wir wollen das Programm namens programmname
installieren und wir wissen (oder gehen davon aus), dass es in den Softwareverzeichnissen unserer Distrubution vorhanden ist.
GUI:
- Grafischen Paketmanager im Startmenü ausfindig machen und durch Klick starten.
- Passwort eingeben, mit Eingabetaste bestätigen
- Auf
Suchen
klicken, dortprogrammname
eingeben, mit Eingabetaste bestätigen - Aus den Suchergebnissen das Paket
programmname
heraussuchen und die Checkbox markieren - Durch Klick auf den Anwenden-Button installation veranlassen
Konsole:
sudo apt-get install programmname
- Passwort eingeben, mit Eingabetaste bestätigen
Szenario: Anleitungen schreiben und/oder anwenden
Auch etwas alltägliches: Wir sind entweder ein Super-Nerd und schreiben ein Tutorial für eine beliebige Linux-Anwendung oder sind ein Anfänger, der eine Anleitung lesen und umsetzen möchte. Wie sähen diese Anleitungen im Vergleich aus?
GUI: Öffne im Startmenü die Systemsteuerung und wähle den Eintrag Foobar. Wähle dann in der Kategorie XYZ den Tab A und aktiviere Checkbox B. Der sich dann öffende Dialog … bla bla bla klicke auf weiter und wähle aus der Liste den Eintrag ZYX aus … bla bla bla … (noch viel mehr Text)
Konsole: Gib in die Konsole
befehl -paramter -parameter /pfad/zu/datei
ein. Fertig.
Szenario: System kaputt
Was auch passieren kann, ist dass wir das System kaputtspielen. Die falsche Software installiert, eine Einstellung wirkt sich fatal aus oder sonst ist irgendwas schwer defekt.
GUI: Wir sind erledigt, haben verloren. Neuinstallation wir kommen!
Konsole: Kein Problem! Jedenfalls keins, das nicht zu lösen wäre. Wir können das ganze System über die Kommandozeile steuern, Konfigurationsdateien im Texteditor bearbeiten und mit einem textbasierten Browser das Internet nach hilfreichen Texten durchsuchen oder per IM/IRC Hilfe erfragen. Und mit einem textbasierten Medienspieler können wir nebenbei Musik hören.
Ergebnisse
Diese drei Beispiele verdeutlichen, dass selbst im Zeitalter der 3D-beschleunigten Blingbling-Desktops eine Kommandozeile ein Feature sein kann, mit dem man vieles besser erledigen kann als wenn man in irgendwelchen GUIs herumklickt. Wenn man weiß was man tut. Das ist eine weniger große Hürde als man jetzt spontan annehmen mag. Ein computerfester junger Mensch soll es nicht schaffen, sich zu merken, dass apt-get install programmname
das Programm programmname
installiert? Glaube ich nicht.
Und man muss ja nicht alles können. Vieles kann man eben auch per GUI machen oder sich bei bedarf ergooglen und in seine Eingabezeile kopieren ohne nachzudenken. Man muss die Konsolenbefehle nicht mühsam büffeln, man kann sie auch einfach während der normalen Linuxnutzung ins Hirn sickern lassen. Nur sollte man das eben auch zulassen.
Dies sind die vier Dinge, die man aus diesem Artikel mitnehmen kann:
- It’s not a bug, it’s a feature! Das muss man sich einfach einmal vergegenwärtigt haben. Die Linux-Konsole ist kein Atavismus, kein primitives Überbleibsel aus finsteren Zeiten, sondern ein Feature, mit dem man viele Sachen besser und schneller bewerkstelligen kann. Wenn man will.
- Es geht auch ohne! Distributionen wie Ubuntu haben so viele grafische Konfigurationstools an Bord, dass man als normaler User auf die Kommendozeile fast vollständig verzichten kann. Man muss ja nicht!
- Da geht noch mehr! Es gibt viele tolle Programme für die Kommendozeile. Texteditoren, Audioplayer, Instant Messenger, alles was das Herz begehrt. Ich weiß, dass mir das jetzt keiner glaubt, aber es lohnt sich, auch diese Programme auszuprobieren, denn vielleicht findet man etwas, von dem man gar nicht wusste, dass es ohne GUI einfach besser ist.
- Keine Angst! Vor der Linux-Konsole muss man sich nicht mehr fürchten als vor Karl Klammer oder der Apfel-Taste.
Anregungen bitte wie immer in die Kommentare. Brauchen wir einen siebten Teil der Serie? Vorschläge?
Kommentare (23)
Sebastian ¶
10. Juni 2008, 05:43 Uhr
Klar brauchen wir einen siebten Teil. Deine Artikel sind nämlich gut :)
Siegfried ¶
10. Juni 2008, 05:52 Uhr
Klasse!
Ich selber gehöre zu den Fossilien, die noch aus Gewohnheit die Kommandozeile (Console) benutzen. Angefangen mit CP/M sowie einer VT100 an einer MicroVAX bis hin zu Linux. Und ich möchte die Kommandozeile nicht missen.
Zum Punkt "System kaputt" noch eine Ergänzung: Dieses Beispiel verdeutlich sehr schön die Notwendigkeit von Webseiten, die auch ohne Grafik nutzbar sind! Angenommen, GUI ist kaputt, und ich will im Internet nach hilfreichen Seiten suchen, wie ich die GUI wieder hinbekomme, und lande auf einer Seite, die im Textmodus Nix anzeigt, weil Alles grafisch ist - Da ist Wut vorprogrammiert.
Der Fairness halber sei angemerkt, dass auch Windows so einen Consolenmodus hat :)
Tobse ¶
10. Juni 2008, 06:07 Uhr
Für eine Webworker Serie könnte ich mir noch ein paar Worte zu folgendem Thema vorstellen:
Integration von FTP,SSH,SCP,... direkt in die Arbeitsumgebung. Dies ist bei Linux deutlich schöner umgesetzt als beispielsweise für Windows (nur mit Drittanbietersoftware wirklich gut)
Mounten von remote directories sollte ein Anwendungsfall sein, der jeden Webworker betrifft.
Ansonsten kann ich nur zustimmen: Die Artikelserie ist echt super!
fwolf ¶
10. Juni 2008, 06:48 Uhr
*räusper* Und was ist, wenn ich nicht genau weiß, wie das gesuchte Programm heißt?
Ergo Schritt 0:
apt-cache search suchwort
Evtl. mit
| less
zu ergänzencu, w0lf.
kyio ¶
10. Juni 2008, 06:55 Uhr
hey peter, wie immer ein klasse artikel von dir.
was mir gefehlt hat:
die konsole im bezug auf remote arbeiten auf servern.
alles was man lokal probiert, macht und tut funktioniert natürlich auch direkt auf einem remoteserver. ich habe viele kollegen die bei versagen eines dienstes immer den support bemühen anstelle sich "mal eben" zu verbinden und den entsprechenden dienst neu starten.
deine linux artikelserie solltest du auf jeden fall weiter schreiben. ich klebe dir da förmlich an den lippen :-)
themen die mich interessieren:
-dateisysteme ext2/3 windows platten mounten etc
-verschlüssellung
-opensource: wie entstehen programme in der gruppe
fwolf ¶
10. Juni 2008, 06:58 Uhr
Noch zu ergänzen sei: Ich habe hier dank Yakuake eine wundervolle Konsole auf Knopfdruck (= F12) abrufbereit.
Natürlich in den schönen Farben Grün auf Schwarz. Grau auf Schwarz ist ganz bääääh (MS-Doof halt)!
Gibbet auch für Gnome, nennt sich dann Tilda. Macht sich teils besser (Größenverhältnisse individuell festlegbar), teils schlechter (kein automatisches "über den anderen Fenstern halten" ) als erstgenanntes Werkzeug.
cu, w0lf.
fwolf ¶
10. Juni 2008, 07:01 Uhr
Zitat kyio:
da wär doch ein Gastbeitrag von Alp Uckan sicherlich nicht fehl am Platze ;-)
cu, w0lf.
momonster ¶
10. Juni 2008, 08:03 Uhr
Erwähnt werden sollte auch noch, dass die Linux-Shells in der Regel auch nette Funktionen wie Ergänzung per Tab, eine History icl. Suche, komfortables editieren der Befehlszeile und vieles andere bieten.
dopefish ¶
10. Juni 2008, 08:35 Uhr
Danke für diese Artikelserie!
Ich habe vor mir in den nächsten Wochen eine Notebook anzuschaffen. Ich weiß nicht, ob es unmittelbar mit deinen Artikeln zu tun hat, aber ich habe mich für Ubuntu als Betriebssystem entschieden.
Dank deinen Artikeln ist meine Angst, damit nicht klarzukommen beinahe verschwunden.
Ps.: "Die Konstole ist DEN Freund" - da fehlt wohl ein "i".
Peter ¶
10. Juni 2008, 09:12 Uhr
Zitat momonster:
Das ist an sich alles sehr richtig, aber fällt meines Erachtens schon in den Sektor Spezialwissen. Ich wollte erst mal davon überzeugen dass die Konsole an sich nicht beißt.
Zitat dopefish:
Es freut mich immer wieder, wenn es an der Beseitigung von Bug 1 mithelfen kann.
Und genau deshalb schreibt man auch besser nichts nachts. Danke für den Tipp, ist geflickt.
Martin ¶
10. Juni 2008, 12:50 Uhr
Hmm... seitdem ich deine Artikelserie verfolge überlege ich Linux mal im Alltag zu testen.
Noch hast du mich nicht so weit! Aber vielleicht ja mit Teil 7. ;-)
Martin ¶
10. Juni 2008, 13:21 Uhr
Danke, Peter! Schöne Serie, informativ und gut geschrieben. :)
Karsten ¶
10. Juni 2008, 13:29 Uhr
Auch wenn das dann gar nichts mehr mit der Webwork-Thematik zu tun. Eine nette Anwendung von Systemen ohne aufwändige GUI sind ressourcenschonende kompakte Home-, Medien-, Streaming-Server, NAS etc. Wenn es nämlich ums Strom- und Abwärmesparen geht, dann ist die Konsole einer aufwändigen Klickibunti-GUI haushoch überlegen ;-)
Ich finde die Serie nach wie vor klasse und würde mich über weitere Teile freuen.
Moritz ¶
10. Juni 2008, 16:37 Uhr
Ich glaube das Aufsetzen eines lokalen Webservers mit PHP und MySQL wurde noch nicht besprochen, oder?
fwolf ¶
10. Juni 2008, 16:46 Uhr
Zitat Moritz:
Da sollte doch ein Verweis auf XAMPP ausreichen, oder? ;)
cu, w0lf.
ps: OT: Bisserl mehr Usability für Herrn Schäuble - muss ich den jetz jedes Mal wegklickern, wenn ich das erste Stück HTML einhämmer? Das mit dem HTML-Escaping bekomme ich auch so - oder notfalls mit
htmlspecialchars()
- hin ;-)
Jeena Paradies ¶
10. Juni 2008, 17:14 Uhr
Von mir auch ein kurzer Link auf meinen Bericht: Mit »links« im Netz - ein Abenteuer ohne Grafische Oberfläche
Marc ¶
10. Juni 2008, 17:17 Uhr
Ich muss sagen, dass es für mich schon länger ein Rätsel ist, weshalb sich viele Windows User zwar gerne durch die Registry quälen, aber Panik bekommen, sobald sie unter GNU/Linux - oder sonstigen *NIX-Systemen (vor allem bei BSD) - ein Terminal sehen..
Konsole ist ein wirklich tolles Feature bei GNU/Linux, BSD etc., aber leider sieht sie einfach zu kompliziert für die meisten Leute aus, obwohl es in Wahrheit gar nicht schwer ist, sein System ohne GUI zu bedienen.
muhli ¶
10. Juni 2008, 18:54 Uhr
Die Konsole ist super, und ein
, das ich unter Windows des öfteren schmerzlich vermisse ;)Nachteil ist natürlich, dass das Benutzen der Konsole Anfangs etwas schwierig ist, braucht es doch ein gutes Maß an Einarbeitungszeit und Vorwissen.
@Fwolf: lass den Schäuble doch einfach stehen, wegklicken musst du den nicht ;)
Karsten ¶
11. Juni 2008, 09:55 Uhr
Zitat fwolf:
Ich finde es besser die entsprechenden Pakete aus dem Repository zu installieren. Dann braucht man sich auch nicht um Updates zu kümmern.
Aber sowas könnte man ja auch in einem Artikel zu dem Thema diskutieren.
Peter ¶
11. Juni 2008, 10:24 Uhr
Ich weiß nicht was die Server-Idee angeht … gibt das wirklich genug her? Für einen Linux-Artikel?
Zitat fwolf:
Ignoriere ihn doch einfach. Im Gegensatz zu echten Schäuble tut der hier ja nichts.
Moritz ¶
11. Juni 2008, 16:31 Uhr
Ob es genug hergibt weiß ich nicht, aber wo ist denn der "Apache inside" von dem man bei Linux spricht?
Peter ¶
11. Juni 2008, 16:44 Uhr
Der ist z.B. bei Ubuntu in der Form da, dass man lediglich
apt-get install apache2
durchführen muss und schon läuft das Ding. Für die Einrichtung von MySQL hat man da sogar einen grafischen Assistenten. Die wahre Kunst besteht da eher in der Konfiguration und die hat ja nichts mit Linux an sich zu tun.Siegfried ¶
12. Juni 2008, 06:55 Uhr
Je nach Distribution ist der Apache auch schon mal voreingestellt dabei. Wenn ich mich richtig erinnere, z.B. bei S.u.S.E. und wird dort für das Hilfesystem verwendet.
Das mit dem "inside" ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Der Apache ist wohl neben dem Kernel das größte und erfolgreichste Einzelprojekt innerhalb von Gnu/Linux. Daher vielleicht diese leichte Übertreibung. Aber es dürfte bei keiner Distribution ein nennenswerter Aufwand sein, Apache zu installieren und zu starten.