Wenn der unbedarfte Normalbürger an Linux denkt, erscheinen vor seinem geistigen Auge bärtige Mathematiker zu 300 Pfund Körpergewicht, die kryptischen Programmcode in eine Textzeile hacken. Der bloße Gedanke an die Konsole schreckt viele schon ab. Das muss nicht sein: Erstens kann man bei modernen Distributionen fast ganz ohne Texteingabe auskommen, zweitens ist so eine primitive Eingabemethode unter Umständen eine ausgesprochen feine Sache. Dieser Artikel soll dem interessierten GUI-Fan die Angst vor der Konsole nehmen und im Idealfall auch verdeutlichen, warum dieses Teil wirklich ein Feature und kein Relikt ist.

Die gesamte Artikelserie:

  1. Was Linux ist und warum man sich dafür interessieren sollte
  2. Unverbindliches Ausprobieren
  3. Programme, Programme, Programme
  4. Photoshop und andere Windows-Anwendungen unter Linux
  5. Pimp my Linux
  6. Die Konsole ist den Freund

Früher war nicht alles schlimmer!

Die meisten Leser dürften alt genug sein, um in grauer Vorzeit noch eigenhändig ein MS-DOS oder gar etwas noch älteres bedient zu haben. Da war also das gesamte Betriebssystem durch eine Texteingabe zu bedienen. War früher wirklich alles so schlimm? Natürlich nicht. Es war vor allen Dingen anders – weniger was die Funktion des Ganzen angeht (Dateien kopieren ist Dateien kopieren), sondern was die Voraussetzungen seitens des Anwenders betrifft.

MS DOS

Die Konsole setzt voraus, dass man weiß was man tut. Wenn man keine Ahnung hat wie etwas geht oder wo eine bestimmte Datei liegt, fährt man mit einem GUI meist besser. Aber andernfalls ist Konsole ein Segen, denn damit arbeitet es sich schneller und bequemer. Glaubt keiner? Deswegen werden wir in Folge einfach mal ein paar Szenarien durchspielen, in denen man die vorliegenden Aufgaben sowohl per Konsole als auch per GUI erledigen könnte.

Szenario: Programm installieren

Eine ganz alltägliche Situation: Wir wollen das Programm namens programmname installieren und wir wissen (oder gehen davon aus), dass es in den Softwareverzeichnissen unserer Distrubution vorhanden ist.

GUI:

  1. Grafischen Paketmanager im Startmenü ausfindig machen und durch Klick starten.
  2. Passwort eingeben, mit Eingabetaste bestätigen
  3. Auf Suchen klicken, dort programmname eingeben, mit Eingabetaste bestätigen
  4. Aus den Suchergebnissen das Paket programmname heraussuchen und die Checkbox markieren
  5. Durch Klick auf den Anwenden-Button installation veranlassen

Konsole:

  1. sudo apt-get install programmname
  2. Passwort eingeben, mit Eingabetaste bestätigen

Szenario: Anleitungen schreiben und/oder anwenden

Auch etwas alltägliches: Wir sind entweder ein Super-Nerd und schreiben ein Tutorial für eine beliebige Linux-Anwendung oder sind ein Anfänger, der eine Anleitung lesen und umsetzen möchte. Wie sähen diese Anleitungen im Vergleich aus?

GUI: Öffne im Startmenü die Systemsteuerung und wähle den Eintrag Foobar. Wähle dann in der Kategorie XYZ den Tab A und aktiviere Checkbox B. Der sich dann öffende Dialog … bla bla bla klicke auf weiter und wähle aus der Liste den Eintrag ZYX aus … bla bla bla … (noch viel mehr Text)

Konsole: Gib in die Konsole befehl -paramter -parameter /pfad/zu/datei ein. Fertig.

Szenario: System kaputt

Was auch passieren kann, ist dass wir das System kaputtspielen. Die falsche Software installiert, eine Einstellung wirkt sich fatal aus oder sonst ist irgendwas schwer defekt.

GUI: Wir sind erledigt, haben verloren. Neuinstallation wir kommen!

Konsole: Kein Problem! Jedenfalls keins, das nicht zu lösen wäre. Wir können das ganze System über die Kommandozeile steuern, Konfigurationsdateien im Texteditor bearbeiten und mit einem textbasierten Browser das Internet nach hilfreichen Texten durchsuchen oder per IM/IRC Hilfe erfragen. Und mit einem textbasierten Medienspieler können wir nebenbei Musik hören.

Ergebnisse

Diese drei Beispiele verdeutlichen, dass selbst im Zeitalter der 3D-beschleunigten Blingbling-Desktops eine Kommandozeile ein Feature sein kann, mit dem man vieles besser erledigen kann als wenn man in irgendwelchen GUIs herumklickt. Wenn man weiß was man tut. Das ist eine weniger große Hürde als man jetzt spontan annehmen mag. Ein computerfester junger Mensch soll es nicht schaffen, sich zu merken, dass apt-get install programmname das Programm programmname installiert? Glaube ich nicht.

Und man muss ja nicht alles können. Vieles kann man eben auch per GUI machen oder sich bei bedarf ergooglen und in seine Eingabezeile kopieren ohne nachzudenken. Man muss die Konsolenbefehle nicht mühsam büffeln, man kann sie auch einfach während der normalen Linuxnutzung ins Hirn sickern lassen. Nur sollte man das eben auch zulassen.

Dies sind die vier Dinge, die man aus diesem Artikel mitnehmen kann:

  1. It’s not a bug, it’s a feature! Das muss man sich einfach einmal vergegenwärtigt haben. Die Linux-Konsole ist kein Atavismus, kein primitives Überbleibsel aus finsteren Zeiten, sondern ein Feature, mit dem man viele Sachen besser und schneller bewerkstelligen kann. Wenn man will.
  2. Es geht auch ohne! Distributionen wie Ubuntu haben so viele grafische Konfigurationstools an Bord, dass man als normaler User auf die Kommendozeile fast vollständig verzichten kann. Man muss ja nicht!
  3. Da geht noch mehr! Es gibt viele tolle Programme für die Kommendozeile. Texteditoren, Audioplayer, Instant Messenger, alles was das Herz begehrt. Ich weiß, dass mir das jetzt keiner glaubt, aber es lohnt sich, auch diese Programme auszuprobieren, denn vielleicht findet man etwas, von dem man gar nicht wusste, dass es ohne GUI einfach besser ist.
  4. Keine Angst! Vor der Linux-Konsole muss man sich nicht mehr fürchten als vor Karl Klammer oder der Apfel-Taste.

Anregungen bitte wie immer in die Kommentare. Brauchen wir einen siebten Teil der Serie? Vorschläge?